Es sollte ein Meilenstein in der Aufarbeitung der Stadtgeschichte werden: das 2018 vom Stadtrat beschlossene Forschungsprojekt zur wissenschaftlichen Untersuchung der Luftangriffe auf Nordhausen im April 1945. Doch sechs Jahre später warten die Nordhäuser noch immer auf die Ergebnisse der über 80.000 Euro teuren Studie, deren Fertigstellung ursprünglich spätestens für 2022 vorgesehen war. Die AfD-Stadtratsfraktion hat die abermalige Verzögerung nun zum Anlass für eine Anfrage im Stadtrat genommen…..
 
Es ist ein Forschungsvorhaben zu dem sensibelsten Kapitel der Nordhäuser Stadtgeschichte – und droht nun zu einer unendlichen Geschichte zu werden. Vor mehr als sechs Jahren, im Dezember 2018, fasste der Nordhäuser Stadtrat den Beschluss, die verheerenden Luftangriffe vom 3. und 4. April 1945 durch eine wissenschaftliche Aufarbeitung untersuchen zu lassen. Die Ergebnisse sollten in einer umfassenden Studie der Öffentlichkeit präsentiert werden. Doch die Bürger warten bis heute vergeblich auf das Werk, das neue Erkenntnisse versprach.

Erklärtes Ziel des Forschungsprojektes ist es, über die Hintergründe, Abläufe und Folgen des britischen Bombardements aufzuklären. Die genauen Opferzahlen sind bis heute ebenso umstritten wie die militärstrategischen Motive der Alliierten für das Flächenbombardement kurz vor Kriegsende. Vor allem aber die Frage, welche langfristigen Auswirkungen das Trauma auf das Selbstverständnis und die Erinnerungskultur der Stadt hatte, bewegt die Gemüter.

Eine große wissenschaftliche Untersuchung gibt es bislang nicht, obgleich zahlreiche Heimatforscher versuchten, dieses dunkle Kapitel zu beleuchten. Als Standardwerk gilt das vor über 24 Jahren erschienene „Nordhausen im Bombervisier“ von Walter Geiger. Dieses beschäftigt sich erstmalig in Tiefe mit der Bombardierung, auch wenn es nicht immer den Anforderungen einer wissenschaftlichen Arbeit genügt und es mitunter an einer kritischen Distanz zum Gegenstand fehlt. Geiger selbst weist in seiner Arbeit auf das Fehlen eines wissenschaftlichen Apparates hin, einige seiner Aussagen gelten heute als widerlegt oder werden sehr kritisch gesehen.

Dem Dickicht an offenen Fragen, Spekulationen und Legendenbildungen sollte die ambitionierte Studie nun ein Ende setzen. Mit 80.000 bis 100.000 Euro war das zweijährige Forschungsprojekt veranschlagt, das Historiker Jens Schley gemeinsam mit einer Co-Autorin stemmen sollte. Per Stadtratsbeschluss gaben die Nordhäuser Stadträte im Dezember 2018 grünes Licht, im Sommer 2019 wurde das Vorhaben auf den Weg gebracht. Schon damals war klar: Bis spätestens Mai 2022 sollte die Studie in trockenen Tüchern sein.

Doch daraus wurde nichts Seither ist die Veröffentlichung zu einem Phantom geworden, dessen Fertigstellung in immer weitere Ferne rückt. Ein neuer Abgabetermin? Fehlanzeige. Mitte 2022 sickerte lediglich durch, dass Projektleiter Schley seinen zwischenzeitlich auf 350 Seiten angewachsenen Forschungsband um einen opulenten Bildteil ergänzen wolle. Zudem war von einem Quellenband die Rede. Intern rechnete man offenbar mit einer Buchpublikation nicht vor Sommer 2023. Dann wurde es wieder still um das Projekt.

Diese Hängepartie will die AfD-Fraktion nicht länger hinnehmen. In einer Anfrage an Oberbürgermeister Kai Buchmann verlangt sie nun Aufklärung darüber, wann mit einer Veröffentlichung der Studie zu rechnen sei und welche Gründe für die Verzögerung verantwortlich seien. Auch die Frage nach den Kosten treibt die Kommunalpolitiker um. Müssen die Steuerzahler mit einer Kostensteigerung rechnen, wenn sich die Abgabe der Studie weiter nach hinten verschiebt?

Dabei ist das Forschungsprojekt wichtig: Die Aufarbeitung der Geschehnisse im April 1945 ist seit Jahrzehnten ein Reizthema, das die Stadtgesellschaft spaltet. Für die einen ist die wissenschaftliche Einordnung der Luftangriffe längst überfällig. Andere befürchten eine Relativierung des Leids der Nordhäuser Bevölkerung 1945. Wieder andere erhoffen sich eine nüchterne Bestandsaufnahme als Grundlage für eine Weiterentwicklung der lokalen Erinnerungskultur.

Der Erwartungsdruck auf die Macher der Studie ist dementsprechend hoch, das erkennt die AfD-Fraktion an. In Historikerkreisen und bei interessierten Bürgern gilt das Projekt schon jetzt als Lackmustest dafür, ob die Forschung heikle Themen der jüngeren Stadtgeschichte ideologiefrei und mit der nötigen Tiefe aufarbeiten kann. Jens Schley muss nun freilich den Spagat schaffen, zwischen akribischer Quellenarbeit und einer allgemeinverständlichen, unaufgeregten Darstellung komplexer Sachverhalte.

Doch je länger sich die Abgabe der Studie verzögert, desto größer wird der Unmut in der Stadt. Transparenz und eine klare Kommunikation sind daher unerlässlich. Eine proaktive Öffentlichkeitsarbeit der Stadt ist aber nach Meinung der AfD nicht erkennbar. Eine versprochene Projektbegleitung auf der städtischen Website ist nicht existent, der letzte Beitrag zum Thema stammt vom April 2022 (https://www.nordhausen.de/news/news_lang.php?ArtNr=29350). Stattdessen herrscht Funkstille und allenfalls Vertröstungen.

Dies weckt Zweifel, ob die Dimension des Vorhabens von den Verantwortlichen in der Stadt und des Projektes von Beginn an richtig eingeschätzt wurde. Immerhin geht es um nicht weniger als die erstmalige akribische Auswertung aller verfügbaren Quellen zu den Angriffen – von Augenzeugenberichten über alliierte Einsatzprotokolle bis hin zu Dokumenten der Stadtverwaltung und neuesten Publikationen anderer Historiker zum Luftkrieg. Eine Sisyphusarbeit, bei der jedes Detail zählt.

Nun aber ist der Punkt erreicht, an dem Informationshäppchen und Vertröstungstaktik nicht mehr ausreichen. Die Bürger haben ein Recht darauf zu erfahren, wann sie mit belastbaren Ergebnissen rechnen können Erst recht, wenn öffentliche Gelder in beträchtlicher Höhe im Spiel sind.

In diesem Zusammenhang möchte die Fraktion den Oberbürgermeister nun um Auskunft zu folgenden Fragen bitten:

1. Da das Forschungsprojekt inzwischen zwei Jahre über den geplanten Abschlusstermin hinaus andauert, möchten wir Sie fragen, wann konkret mit einer Fertigstellung zu rechnen ist. Gibt es einen neuen, verbindlichen Zeitplan für den Abschluss des Projekts und die Veröffentlichung der Ergebnisse?
2. Sind durch die Verzögerung des Projekts zusätzliche Kosten für die Stadt entstanden, die über die ursprünglich budgetierten 80.000 € hinausgehen? Falls ja, in welcher Höhe und aus welchen Gründen?
3. Wie ist der aktuelle Bearbeitungsstand des Forschungsprojekts?
4. Welche konkreten Gründe liegen vor, warum das Projekt noch nicht abgeschlossen werden konnte? Eine Erläuterung der Ursachen wäre für das Verständnis der Situation sehr hilfreich.
5. Ist weiterhin eine Buchpublikation der Forschungsergebnisse in einem Fachverlag geplant? Wenn ja, gibt es bereits Absprachen mit einem konkreten Verlag und einen anvisierten Erscheinungstermin?